
Kommentar: Der Fall Prinz Reuß – Wenn Verhältnismäßigkeit zum Fremdwort wird
Seit fast drei Jahren sitzt Heinrich XIII. Prinz Reuß nun in Untersuchungshaft. Drei Jahre – ohne rechtskräftiges Urteil, ohne dass die Öffentlichkeit wirklich nachvollziehen könnte, weshalb ein derart drastischer Eingriff in die Grundrechte eines Beschuldigten so lange andauern darf. Für viele ist dieser Fall längst mehr als ein Strafverfahren. Er ist ein Prüfstein dafür, ob staatliche Institutionen selbst den Maßstab einhalten, den sie immer wieder als Grundlage demokratischer Legitimation anführen: Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit.
Eine Gruppierung, die kaum jemand ernst nahm
Die sogenannte „Reichsbürger“-Szene ist zweifelsohne ideologisch wirr, oft schrill, manchmal absurd. Aber man muss kein Sympathisant sein, um festzustellen:
Die Gruppe um Prinz Reuß war nach allem, was bekannt wurde, weder zahlenmäßig bedeutend noch organisatorisch fähig, den Staat ernsthaft herauszufordern.
Was als „terroristische Vereinigung“ bezeichnet wird, wirkte auf viele Beobachter eher wie eine lose Ansammlung von Menschen, die sich in Parallelwelten aus Verschwörungstheorien, Fantasie-Staatskonstrukten und historischer Nostalgie verlieren. Eine Gruppierung, die in der politischen Realität bislang kaum Relevanz hatte – und deren Gefährlichkeit sich vor allem aus Interpretation, nicht aus nachgewiesener Handlungskraft speist.
Waren die Vorwürfe zu groß für die Faktenlage?
Wer die Berichterstattung der letzten Jahre verfolgt hat, konnte sich eines Eindrucks kaum erwehren:
Der Staat wollte mit diesem Verfahren ein Exempel statuieren.
Es wirkt, als seien manche Vorwürfe – zumindest in ihrer Schwere – konstruiert oder überdehnt, um eine massive Sicherheitsoperation und harte Maßnahmen zu rechtfertigen. Statt nüchterner Gefahrenanalyse dominierte eine Erzählung, die eher an einen großen Staatsumsturz erinnerte als an eine begrenzte, ideologisch verwirrte Gruppe.
Dass ausgerechnet diese Gruppe über Jahre als „ernsthafte Bedrohung der staatlichen Ordnung“ präsentiert wurde, wirft Fragen auf. Handelte es sich hier um eine Gefahr – oder um eine Inszenierung einer Gefahr?
U-Haft als politisches Werkzeug?
Das wohl größte Problem bleibt die Dauer der Untersuchungshaft.
Drei Jahre ohne Urteil sind im deutschen Rechtsstaat eine absolute Ausnahme – eigentlich nur vorgesehen bei schwersten Straftaten, bei klarer, unmittelbarer Bedrohungslage oder extrem komplexen Verfahren.
Doch im Fall Reuß scheint die U-Haft an einem Punkt angelangt zu sein, an dem sie nicht mehr wie ein Mittel der Verfahrenssicherung wirkt, sondern wie eine vorweggenommene Strafe.
Wenn ein Staat Menschen über Jahre einsperrt, ohne ein Urteil vorzulegen, dann verliert der Begriff „Unschuldsvermutung“ seine Substanz. Und genau das macht für viele den Eindruck einer willkürlichen und politisch motivierten Härte aus.
Was bleibt? Ein schaler Nachgeschmack
Man muss keine Sympathie für Reichsbürger haben, um sich an diesem Verfahren zu stoßen.
Ein demokratischer Staat sollte stark genug sein, auch mit skurrilen und staatsfernen Gruppen gelassen umzugehen – und nicht mit Maßnahmen zu reagieren, die selbst Zweifel an der Rechtstaatlichkeit aufwerfen.
Der Fall Prinz Reuß zeigt weniger die Stärke des Staates als die Tendenz, überzogene Maßnahmen mit dramatischen Narrativen zu legitimieren.
Er zeigt ein System, das im Kampf gegen vermeintliche Extremisten selbst die Grenzen der Freiheit auszudehnen beginnt – und sich damit langfristig selbst schadet.
Wenn die Verhältnismäßigkeit verloren geht, ist es nicht die Sicherheit, die gewinnt.
Es ist das Vertrauen, das verloren geht.
- - - - -
zu 