🪞 Operation Selbstdefinition – Eine Republik entdeckt ihr inneres Ich

Unterzeile: Wenn Identität zur Währung wird, bleibt die Realität auf der Strecke.

Ein satirischer Bericht aus dem Land der unendlichen Möglichkeiten – wo man alles sein darf, außer sich selbst.

📰 Teaser / Meta-Beschreibung:

Im neuen Zeitalter der Selbstdefinition verwandeln sich Beamte in Ikonen, Sportler in Gefühle und Professoren in Performances.

Eine groteske Satire über Bürokratie, Opportunismus und die große Identitätslotterie.

Operation Selbstdefinition – Die neue Republik der Gefühle

Es begann an einem Montag. Immer montags beginnt der Wahnsinn.
Im Ministerium für Identitätsfragen, Abteilung „Fluidität und Frühstück“, roch es nach abgestandenem Kaffee, als die Sprecherin ans Mikro trat und verkündete:
„Ab heute darf jeder sein, wer oder was er möchte.
Geschlecht, Alter, Beruf, Planet – alles frei wählbar.“

Applaus. Standing Ovations. Und die erste spontane Selbsttransformation im Publikum.

Ein Mann rief: „Ich bin jetzt meine eigene Ex-Frau!“ und bekam sofort einen Blumenstrauß für seinen Mut.

Kapitel 1: Die wundersame Wandlung des Walter W.

Walter war 52, Beamter, passionierter Briefmarkensammler.
Sein größter Nervenkitzel bestand bisher darin, eine neue Büroklammergröße zu beantragen.

Doch dann entdeckte er: Gefühle sind Macht.

Eines Morgens erschien Walter mit Perlenohrringen im Amt, verkündete, er heiße nun Waltraud, und bat um den Parkplatz der Gleichstellungsbeauftragten.
Innerhalb von 48 Stunden hatte er drei Interviews, eine Talkshow-Einladung und ein Porträt in der Wochenzeitung:

„Vom Aktenstaub zur Ikone der Vielfalt.“

Waltraud lächelte mild in die Kamera:
„Ich bin jetzt authentisch.“

Und tatsächlich – die Karriere war es auch.

Kapitel 2: Die große Identitätslotterie

Waltrauds Erfolg löste eine Welle der Inspiration aus.
Plötzlich waren alle im Haus mit sich selbst im Gespräch.
Der Hausmeister erklärte sich zur „trans-non-binären Facility-Person“, die Kantinenfrau als „fluidarisch“ (was immer das heißen sollte) und die Sekretärin bestand darauf, als „temporär existierende Emotion“ angesprochen zu werden.

Das Ministerium reagierte flexibel:

Ein neuer Vordruck wurde eingeführt – Formular GF-X/∞, auch bekannt als „Selbstbestimmungsbogen für tagesaktuelle Identität“.

Darin konnte man ankreuzen:

  • „Männlich (momentan)“
  • „Weiblich (bis Mittag)“
  • „Sonstiges (überraschen Sie uns!)“

An den Bürotüren hängen seither QR-Codes, die stündlich aktualisiert werden – der Beamte von heute ist schließlich eine dynamische Lebensform.

Kapitel 3: Fortschritt auf Speed

Bald schwappte die Euphorie über alle Lebensbereiche.

Im Fernsehen moderierte ein Talkshow-Trio aus drei Persönlichkeiten derselben Person: „Ich, ich selbst und Ichine“.
In der Wirtschaft boomte das Geschäft mit Identitätszubehör:

Pronomen-Abos, Stimmmodulatoren, und der Bestseller des Jahres:

„Wie ich lernte, mich in mir selbst zu erkennen (und dafür Steuervergünstigungen bekam)“.
Sogar die Kirche zog nach.
Der neue Bischof, ehemals Benedikt, jetzt Benedikta, predigte:

„Gott schuf den Menschen nach seinem Bild.

Und dann klickte der Mensch auf ‚Bearbeiten‘.“

Kapitel 4: Sportliche Verhältnisse

Die Revolution erreichte auch den Sport.
Im nationalen Schwimmteam gab es plötzlich nur noch Goldmedaillen – für alle.
Denn wer sich nicht durch Muskelkraft, sondern durch Identität definiert, kann unmöglich verlieren.

Ein Hochsprung-Athlet erklärte:

„Ich identifiziere mich heute als jemand, der den Weltrekord hält.“

Und siehe da – auf dem Papier tat er es auch.
Der Trainer nickte stolz: „Das ist Diversity in Bewegung.“

Kapitel 5: Bildung mit Gefühl

An den Universitäten entstanden neue Disziplinen:

  • Empathische Quantenmechanik – das Teilchen ist, was es zu sein glaubt.
  • Dekonstruktive Meteorologie – Wetter gibt es nur, wenn man daran glaubt.
  • Posthumane Literaturwissenschaft – Texte, die sich weigern, interpretiert zu werden.

Professoren mussten sich jedes Semester neu bewerben, da sich ihre Fachgebiete permanent neu identifizierten.
Ein Dozent für Philosophie verwandelte sich während einer Vorlesung spontan in eine Konzeptkunstinstallation.

Applaus! – Die Studierenden bekamen alle eine 1 für das Mitfühlen.

Kapitel 6: Das Volk der Verwirrten

Draußen im Land versuchten die Menschen mitzuhalten.

Der Bäcker nannte sich nun „Teig-Person mit Hefehintergrund“, der Busfahrer bestand auf „Fahrzeugführende Entität“ und der Metzger deklarierte seine Wurstwaren als „nicht-binär gegart“.

Nur Oma Erna blieb skeptisch.

„Früher hieß es, man soll sich selbst finden“, sagte sie.
„Heute geht’s eher darum, sich täglich neu zu erfinden.“

Man erklärte ihr geduldig, dass es diskriminierend sei, altmodisch zu sein.
Sie lächelte nur, schob ihre Brille hoch und murmelte:

„Ich identifiziere mich als gelangweilt.“

Kapitel 7: Der große Kongress der Gefühle

Höhepunkt des Jahres war der „Internationale Kongress für Identität und Innenschau“.

Rund 4.000 Teilnehmer*innen, 12.000 Pronomen und ein einziger Toilettenraum („für alle, die sich sicher fühlen wollen“).
Der Eröffnungsredner, eine wechselnde Lichtgestalt, begann mit den Worten:

„Ich bin heute hier, aber innerlich ganz woanders.“

Das Publikum applaudierte stehenden Fußes – und teilweise auch schwebend, denn Schwerkraft gilt seit Neuestem als soziales Konstrukt.

Kapitel 8: Und was bleibt?

Irgendwann fragte jemand leise:

„Wenn alle ständig jemand anderes sind – wer erledigt dann eigentlich die Arbeit?“
Ein Moment der Stille.
Dann meldete sich Waltraud, die Pionierin:

„Arbeit? Ich identifiziere mich als produktiv.“

Und das reichte völlig.

 

Epilog: Die Republik der unendlichen Möglichkeiten

Heute ist alles möglich.
Man kann sich täglich neu definieren, mehrfach gleichzeitig oder gar nicht.
Man kann morgens Frau, mittags Phänomen und abends gesellschaftskritischer Nebel sein.

Und wer nicht mitmacht, gilt als gestrig – oder schlimmer: als eindeutig.

Am Ende bleibt vielleicht nur eine Konstante:
Das Gefühl, dass sich alle dauernd ändern müssen, um dazugehören zu dürfen.

Und irgendwo, in einer kleinen Wohnung mit abgestandener Luft und kaltem Kaffee, sitzt Oma Erna, schüttelt den Kopf und sagt:

„Ich bleib einfach ich. Das ist schon kompliziert genug.“

💬 Schlussgedanke:

In einer Welt, in der alles zur Identität wird, ist vielleicht das Mutigste,
einfach mal zu bleiben, wer man ist – auch wenn das gerade aus der Mode ist.