Das EU-Renaturierungsgesetz: Auf dem Weg zurück zur Natur – oder ins politische Minenfeld?
Einleitung:
Im Sommer 2024 hat die Europäische Union ein neues Gesetz verabschiedet, das europaweit für Diskussionen sorgt: das Renaturierungsgesetz. Ziel ist es, geschädigte Ökosysteme wiederherzustellen – ein Vorhaben, das sowohl als Meilenstein für den Naturschutz gefeiert als auch als Eingriff in bestehende Nutzungsrechte kritisiert wird. Was genau regelt das Gesetz, und warum polarisiert es so stark?
Was ist das Renaturierungsgesetz?
Das EU-Renaturierungsgesetz, offiziell „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“, ist Teil der Biodiversitätsstrategie der Europäischen Union. Es trat im August 2024 in Kraft und verpflichtet alle Mitgliedstaaten, Maßnahmen zur Renaturierung ökologisch beeinträchtigter Flächen zu ergreifen – auf dem Land wie im Meer.
Die zentralen Vorgaben:
- Bis 2030: Wiederherstellung von mindestens 20 % der Land- und Meeresflächen der EU.
- Bis 2040 und 2050: Sanierung von 60 % bzw. 90 % aller Ökosysteme, die als „geschädigt“ gelten.
- Städtischer Raum: Kein Nettoverlust an Grünflächen und Baumkronen, ab 2031 ein ansteigender Trend.
Was bedeutet das konkret?
Das Gesetz verpflichtet die Mitgliedstaaten, sogenannte nationale Wiederherstellungspläne zu erstellen. Diese sollen unter anderem Moore, Wälder, Flüsse, Agrarflächen und urbane Räume betreffen. Die Maßnahmen reichen von der Wiederherstellung von Feuchtgebieten über den Rückbau von Flussbegradigungen bis hin zur Förderung naturnaher Wälder.
Dabei betrifft die Verordnung nicht nur Schutzgebiete. Auch wirtschaftlich genutzte Flächen – wie landwirtschaftliche Betriebe – können in den Geltungsbereich fallen, sofern sie in Gebieten mit „wiederherstellungsbedürftigen Ökosystemen“ liegen.
Politischer Streit und rechtliche Folgen
Die Verabschiedung des Gesetzes war von politischer Spannung begleitet. Befürworter sehen darin einen notwendigen Schritt zum Erhalt der natürlichen Ressourcen, Kritiker warnen vor Eingriffen in Eigentumsrechte, wirtschaftliche Nutzung und nationale Zuständigkeiten.
Ein besonders prominenter Fall: Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler stimmte dem Gesetz im EU-Rat zu, obwohl der Bundeskanzler sowie mehrere Bundesländer dagegen waren. Die Folge war eine innenpolitische Krise und die Ankündigung rechtlicher Schritte vor dem Europäischen Gerichtshof.
Bewertung: Fortschritt oder Belastung?
Ob das Gesetz sein Ziel erreicht, hängt von der Umsetzung auf nationaler Ebene ab. Die Herausforderung besteht darin, den Zustand europäischer Ökosysteme objektiv zu erfassen, praktikable Maßnahmen zu definieren – und dabei Interessenskonflikte mit Wirtschaft, Landwirtschaft und Infrastruktur auszubalancieren.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob der Begriff „Renaturierung“ in der Praxis klar genug definiert ist, um einheitliche Standards in der gesamten EU zu ermöglichen – oder ob er zu weit gefasst ist, um rechtssicher angewendet zu werden.
Fazit:
Das EU-Renaturierungsgesetz ist ein komplexes Regelwerk mit weitreichenden Auswirkungen. Es setzt ambitionierte Ziele zum Schutz der Natur – doch ob es als wirksames Instrument dient oder neuen politischen und rechtlichen Konfliktstoff schafft, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
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Weiterführende Informationen:
Für Leserinnen und Leser, die sich tiefergehend mit dem Thema beschäftigen möchten, finden sich hier ausgewählte Quellen und offizielle Dokumente:
- Offizielle EU-Seite zum Gesetz:
EU-Kommission: Nature Restoration Law - Gesetzestext im EU-Amtsblatt (mehrsprachig):
EUR-Lex: Verordnung (EU) 2024/1361 zur Wiederherstellung der Natur - Überblick des Europäischen Parlaments:
Pressemitteilung vom 27. Februar 2024 - Kritische Einordnung (z. B. aus Sicht von Bundesländern oder Interessenverbänden):
Bericht des MDR: Was das Gesetz für Landwirte bedeutet
Positionen des Österreichischen Bauernbundes (via DNR.de) - Das Renaturierungsgesetz polarisiert Österreich - Blog von Birgit Medlitsch auf Klartexxt